Muehltrennung?
Bald zwei Jahre lang betreibt das Institut ohne direkte Eigenschaften den Perinetkeller im 20. Bezirk. In ihm sorgten einst der Muehl, der Nitsch und der Brus für Irritationen. Das taten auch Frauen wie die Stocker oder die Koeck. Die kennt aber kaum jemand. Fragen an Robert Sommer, Initiator des Projekts.
Mit welchen Plänen und Überlegungen in deinem Kopf hast du Anfang 2016 den Perinetkeller gemietet? Und wie kamst du eigentlich in die Lage, an einen derartig kunstgeschichtsträchtigen Raum heranzukommen?
Weder mit Plänen und Überlegungen im Kopf, sondern eher aus einem Bauchgefühl heraus. Das Kulturamt der Stadt Wien fragte beim Kulturverein Aktionsradius Wien an, ob er nicht Interesse hätte, diesen Ort quasi als Dependance zu bespielen, so wie er das auch im Fall der Arenabar im 5. Bezirk macht. Ich weiß nicht, ob das Entgegenkommen des Kulturamts eine Würdigung der kunstvermittelnden Kompetenz des Aktionsradius war oder ob einfach eine geografische Überlegung dahinter steckte: der Aktionsradius sitzt am Gaußplatz, 200 Meter vom Perinetkeller getrennt. Die heftigen Auseinandersetzungen um die Einschätzung der Figur Otto Muehl, die wir im Aktionsradius schon das ganze Jahr über führten, spielten in die Diskussionen über das »Geschenk» Perinetkeller hinein. Otto Muehl hatte 1962 den Keller als Atelier der Wiener Aktionisten gemietet.
Zweifellos war Muehl schon in seiner Aktionistenzeit ein «Alphatier»: er war älter als die anderen Leute in seinem engen Umkreis, er war durch seinen Schmäh und seine Belesenheit überall ein Unterhaltungsfaktor und er bewies durch seine Provokationen im Schnittfeld von Protest und Kunst den größten Mut und den geringsten Grad an Opportunismus, verglichen mit anderen Aktiven. Für mich, als Teil des engeren Teams des Aktionsradius, waren diese Muehlschen Herrschaftsattitüden, die im Perinetkeller vielleicht schon angelegt waren, die dann aber ab 1970 in der Kommune Friedrichshof voll zum Ausbruch kamen, kein Grund, die Legitimität der Provokationen der österreichischen Nachkriegsavantgarde in Frage zu stellen. Mit dieser Position – eine keineswegs Muehl verherrlichende Sichtweise – blieb ich im Aktionsradius-Team eine Minderheit.
In der Minderheit blieb ich auch in Bezug auf das Keller-Wiedereröffnungsprojekt, das Aktionsradius-Obfrau Uschi Schreiber und die bildende Künstlerin Linde Waber (auf die ich die Hoffnung gesetzt hatte, dass sie durch Nutzung ihrer tiefgreifenden Vernetzung in den Kunstbetrieb der Entwicklung des Perinetkellers förderlich sein würde), vorschlugen. Schreiber und Waber gingen von einer Kontamination des Kellers durch den patriarchalischen Geist der sicherlich mit gutem Grund als «Männerseilschaft» gescholtenen Aktionisten-Gruppe aus. Die Wiedereröffnung des Perinetkellers müsse in Form einer spektakulären feministisch orientierten Reinigungsaktion geschehen. Als Thema böte sich die aktuelle hitzig geführte Burka-Diskussion an. In der Auftaktveranstaltung könnten künstlerische Positionen für ein Verbot der Burka als ein Symbol der Frauenverachtung des Islam präsentiert werden.
Ich hatte keine Ahnung, ob ich in diesem Entscheidungsprozedere so etwas wie ein Vetorecht besaß, jedenfalls kam mir diese unmittelbare Verknüpfung von Islam- bzw. Religionskritik mit einem neuen Freiraum, der a u c h einer undefinierten und dubiosen neuen Avantgarde gewidmet sein sollte, die a u c h von vergangenen Avantgarden in Form und Inhalt beeinflusst sein durften, für weit hergeholt vor. Jedenfalls kam es in unserem Team zu keinem Konsens; umso positiver überraschte mich die Information, dass Uschi Schreiber rasch gehandelt hatte, um die Option auf eine Bespielung des Kellers nach einen von mir entwickeltem Konzept frei zu halten: Sie unterschrieb einen privaten Mietvertrag, der unkompliziert auf mich übertragen werde konnte. Für ihre Funktion als Türöffnerin werde ich ihr ewig dankbar sein.
«Kunst und Revolution» heißt die Devise im Perinetkeller. Ich denke, wir haben dort zwei Dinge zu erwarten: politische AktivistInnen, die mit Mitteln der Kunst gegen versteinerte Verhältnisse losschlagen, und KünstlerInnen, die aufgrund neu gewonnener Einsichten in das Getriebe der Macht rebellisch werden – in ihrem Leben und in ihrer Kunst. Dem Aktionsradius Wien, der ja längst ebenfalls Projekte auf der Schnittstelle von Kunst und Politik forciert, ist also ein Konkurrent in unmittelbarer Nähe gewachsen. Die Scheidelinie muss ja mitten durch deine Person gehen. Wenn ein anarchistischer Chor auftaucht und sein abendfüllendes Programm anbietet: als was trittst du ihm gegenüber? Als Programmierer des Aktionsradius oder als Programmierer des Perinetkellers?
Was du Konkurrenz nennst, nenn ich Arbeitsteilung. Der Aktionsradius kann aufgrund seiner Drei-Jahres-Förderung langfristiger planen und wählerischer sein bei der Suche nach Vortragenden oder Künstlergruppen. Weil hier jedes Monat ein bestimmtes Thema vorgegeben ist, basiert das Aktionsradius-Programm auf den Wünschen und Notwendigkeiten der ProgrammgestalterInnen. Die Subventionierung macht es möglich, auch von weither Gäste zu holen, die viel zu sagen haben, was auch immer das Thema ist. Es war der Aktionsradius Wien, der den surrealistisch-anarchistischen Bürgermeister der isländischen Hauptstadt, Jon Gnarr, zweimal nach Wien geholt hat, um einem interessierten Publikum zu zeigen, wie effektiv sich ein Politiker, eine Politikerin dagegen wehren kann, in das Hamsterrad des sich selbst genügenden Parlamentarismus zu geraten. Durch die enge Kooperation mit der Pfarre am Platz ist der Aktionsradius durch Verlagerungen in die gegenüberliegende Kirche für 200 ZuhörerInnen gerüstet.
Das alles kann der Perinetkeller nicht. Dafür kann er weit spontaner auf Ideen reagieren. Sein sukzessive dichter werdendes Programm (derzeit rund sieben Veranstaltungen pro Monat) basiert in der Regel auf BesucherInnen des Kellers, die ihre Künste anbieten, weil sie a) vom Flair des Kellers überwältigt sind, b) einen Tribut an die zu ihrer Zeit mit Repressionen bedrohte kulturelle Boheme zahlen wollen, c) ausprobieren wollen, welche Resonanz neue Arrangements, Entwürfe, neue Besetzungen, neue Texte bei einem interessierten Publikum haben. Nur was von diesem gespendet wird, kann den KünstlerInnen als Honorar aufgedrängt werden.
Zur Frage, warum der Keller nicht um Kunstsubventionen ansucht, können Neugierige Sätze wie diese vernehmen: «Wir lehnen jede Zusammenarbeit mit dem Staat ab.» Keine Förderungsanfragen zu formulieren ist freilich die bequemste Form, die Zusammenarbeit abzulehnen. Das bedeutet nicht, dass wir Zusammenarbeit mit Gruppen negieren, die sich sehr wohl subventionieren lassen. Solche Gruppen steigern in der Regal den Professionalitätspegel des Gesamtprogramms. Ich nenne hier nur ein Isaak Babel-Theaterprojekt der Fleischerei im Namen der «100 Jahre Oktoberrevolution»-Feiern oder die Literaturvermittlungsserie «Erste Texte & jüngste Worte» von Ulli Tauss.
Wenn du sagst, «wir» verzichten auf Subventionen – ist das der berühmte Majestätsplural, oder kann man tatsächlich von einem Kollektiv sprechen, das den Perinetkeller betreibt?
Tatsächlich hat sich eine Gruppe von etwa zwölf Personen gebildet, die sich in unterschiedlicher Tiefe mit den Projekt Perinetkeller identifiziert. Frag mich nicht, wie diese Menschen zum Keller gefunden haben. Ich weiß es nämlich wirklich nicht. Manche werden mir durch ihre wiederholten Besuche aufgefallen sein. Und dann ist automatisch die «machst mit?»-Frage aufgetaucht. Oder die «Kann man da mitarbeiten?»-Frage. Je nachdem, wer gefragt hat, Gastnehmer oder Gastgeber. Wir nennen uns von Beginn an «Institut ohne direkte Eigenschaften», abgekürzt IODE. Das ist Teil eines Codes, der den BesucherInnen suggerieren will, dass eine latente Kontinuität zwischen den Aktionisten von gestern und den Avantgardismus-Romantikern von heute herrscht. Denn die Aktionisten haben das Loch in der Perinetgasse «Institut für direkte Kunst» genannt. Ein anderer Teil des Codes ist die Ästhetik unserer Flugblätter. Sie zitieren das Plakat zur Veranstaltung «Kunst und Revolution», das bekannteste aller jemals in Österreich inszenierten Happenings, von dem heute viele sagen, es sei das zentrale Ereignis der Wiener Filiale der 68er-Bewegung gewesen.
Das wird wohl stimmen. Nein, es stimmt eigentlich nicht. Wenn man nach den Unternehmungen fragt, die 1968 und danach am meisten zum Abbau autoritären Denkens beigetragen haben, stößt man auf die Fernsehauftritte Adolf Holls und auf sein Buch «Jesus in schlechter Gesellschaft», das man damals in jeder vierten Wohnung liegen sah. Weil Holl aber doch nur ein «Pfaff» war, wird er sowohl von der unabhängigen, als auch von der kommunistischen und sozialdemokratischen Linken aus der Geschichte der österreichischen 68er-Rebellion gestoßen. Zurück zu unserem Team. Es widerspiegelt die Crux jeder Kollektive, deren basisdemokratischer Anspruch von den vielfältigen Hierarchiegeneratoren verletzt wird. Generatoren von Hierarchie sind meine Rollen als Mieter, als Gründer, als Textmonopolist und als zittriger roter Opa. Fremdironische und selbstironische Kommentare zu dieser schier unauflösbarer Quelle subtiler Autorität machen das Ganze für mich erträglich; ich weiß nicht, ob das auch für meine GenossInnen gilt.
Ein radikaler Anhänger des absoluten Konsensprinzips im IODE-Team warf das Handtuch und ging; ich hatte beim Gestalten des Flyer-Inhalts nämlich Kürzungen seines Textes vorgenommen, ohne dieses dem Autor zu kommunizieren. Ich kann das nur so kommentieren: Konsensprinzip ist sinnvoll in einer kommunistischen Elf-Mitglieder-Sekte, die endlich die Frage beantworten will, ob man die neue Gesellschaft mit oder ohne Staat aufbauen will. Wie immer die Konsensentscheidung ausfällt – die Welt wird es nie wissen, und das Sinnloseste auf der Welt ist, der Sekte andere Methoden der direkten Demokratie vor Augen zu führen. Für ein Netzwerk vom Stile der IODE sind andere Formen der Basisdemokratie angebrachter, weil in der Hektik der Planung und Abwicklung des Kellergeschehens die Zeit fehlt, Konsens nach Konsens zu realisieren. In diesem Fall bietet sich eine andere demokratische Methode an: Jedes Mitglied des Teams besitzt die Autonomie, seine Projekte im Perinetkeller durchzuführen und dazu die nötige Hilfe aus dem Team zu mobilisieren. Mein Arbeitsbereich ist neben der terminlichen Koordination der Events die Textarbeit für die Veranstaltungsbewerbungen. Auch ich liebe diese Arbeit nur in dem Maße, in dem meine Hoheit, Texte zu kürzen oder Titel zu modifizieren, akzeptiert wird.
Was verbindet dein Team mit der Vorgeschichte des Kellers?
Die Ablehnung des konservativen, in der Gesellschaft darum weithin akzeptierten Prinzips, Kunst müsse unpolitisch bleiben. Das wäre die allgemeinste Formel für die Identifikation der Gruppe mit den Hauptzielen der Avantgarde. Ein grundsätzlich positives Verständnis für die gesellschaftliche Rolle der Aktionisten teilt jeder und jede in unserem Team, denke ich, das gilt natürlich speziell für jene Menschen im IODE oder dessen Umfeld, die direkt mit Muehl zu tun hatten – als sympathisierende Beobachter der Aktionen wie Felix Mautner, der im Keller eine Gesprächsserie über den Wiener Aktionismus initiiert hat, oder als eng neben Muehl wirkende Aktivisten wie die Malerin Sugar Plum oder Ottos Vertrauter Herbert Stumpfl. Ohne diese personellen Klammern zwischen dem mythischen alten und dem nach Sinn suchenden neuen Perinetkeller wäre IODE eine halbe Sache, denke ich.
Als ich 1970 als 19jähriger nach Wien kam, hätte beinahe auch ich eine solche Klammer werden können; ich verfolgte die Friedrichshof-Kommune mit Interesse, war aber zu feig, mich auf das Experiment einzulassen. Heute erschaudere ich bei dem Gedanken, dass auch ich mich freiwillig der Herrschaft des großen Gurus ausgesetzt hätte, und ich bin dankbar für Überlegungen über gruppendynamische Prozesse, auf die Herbert Stumpfl in seiner unveröffentlichten Studie zur Muehl-Kommune eingeht.
Ich will einen Absatz vorlesen: «Wir, die ihm Zujubelnden, wir, die weitaus meisten in unserer Gemeinschaft, wir fast alle … wir genossen es, dass unser Meister sich als etwas so Einzigartiges darbot – und je höher er sich stellte, desto mehr hoben wir ihn – und uns selbst. Denn wenn man sich schon einem Dominator unterwerfen musste, dann nur einem Unübertrefflichen. Und ich sah ja, dass er all das in Überfluss ausstrahlte, woran ich Mangel litt: Kraft und Energie, Lebensmut, Selbstbejahung und die Fülle schöpferischer Möglichkeiten. Selbst wenn ich sein Zimmer betrat, war es, wie als würde ich als Mängelwesen – vom Kommunealltag zerrissen und von Selbstzweifeln angenagt – einen Raum höherer Energie betreten.» Ich will mich heute gar nicht erinnern, an welchen Mängeln ICH litt. Gerade das Byzantinische, das Bizarre an dieser Parallelhierarchie hätte mich wohl angezogen, der Umstand etwa, dass nur gewisse Leute Schlüssel zu gewissen Zimmern gehabt haben. Diese Zimmer führten in immer höhere Stockwerke, bis dann im letzten Zimmer zum «König Muehl» nur mehr ganz wenige Zutritt hatten.
Unter dem sprachspielerisch originellen Titel «Muehltrennung» wollt ihr im Perinetkeller immer wieder auf das Paradox des aus dem Antiautoritären wachsenden Autoritären eingehen. Was habt ihr vor in Sachen Muehl-Kritik, und was habe ich schon versäumt? Wie schlägt sich überhaupt euer Faible für die Boheme in das Programm nieder?
Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich betonen, dass die Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen der Avantgarde nicht im Zentrum der Kelleraktivitäten stehen werden. Die meisten IODE-Leute gehören einer anderer Generation an, wenn auch bei weitem nicht der jüngsten, und für sie steht die Vergabe des Kellers an zeitgenössische gesellschaftskritische KünstlerInnen auf der Suche nach Freiraum an erster Stelle. Unsere Stärke als Team des Perinetkellers ist, dass wir heterogen sind und dass wir unsere unterschiedlichen Vernetzungen in den Keller eintragen können. Die Mischung aus KünstlerInnen verschiedener Genres und KunstvermittlerInnen verschiedenster Geschmäcker, die die Missachtung des kommerziellen Kunstbetriebs teilen, ist eine Chance für die künftige Vitalität des anarchistelnden Souterrains.
Wir müssen eine Gratwanderung versuchen: Um den Hype des Kellers zu bewahren, muss der Aktionismus Thema bleiben, aber unser gemeinsamer Horror, zu KuratorInnen eines Aktionismus-Museums zu werden, schützt den Keller vor der Versenkung in das «Weltkulturerbe» der historischen Avantgarde. Um deine Frage zu beantworten: Bei der Eröffnungsveranstaltung las Franz Schuh aus der Brus-Zeitung«Schastrommel», und es gab auch eine Hommage an Kurt Schwitters. Es gab eine Vorlesung zum Verhältnis der Wiener Gruppe zu den Aktionisten und in der Folge viele Abende, die den Sprachabenteuern der Wiener Gruppe gewidmet waren. Im Jänner 2017 stellten wir die Frage «Können Arschlöcher gute Kunst machen?» und dachten dabei nicht nur an Muehl. Ferdinand Schmatz versuchte, die Frage zu beantworten. Mehrmals stand der Dadaismus – und die Frage nach seiner Wiederholbarkeit zur Debatte. «Pflichtgemäß» kam Achternbuschs bis heute verbotener Film «Das Gespenst» zur Aufführung.
Angelaufen sind, wie erwähnt, Mautners Aktionismus-Gespräche. Beim 2-Jahres-Jubiläumsfest des Perinetkellers (15. Juni 2018) werden die historischen Subkultur- und Avantgardezeitungen Schastrommel, Irrwisch, Blutorgel und Hundsblume vorgestellt.
Was mir zum Kapitel «Muehltrennung» einfällt: Muehls letzte Eintrittskarte in den Kulturbetrieb war seine Distanzierung von den Idealen der eigenen frühen Kommune. Ich kann sie in aller Kürze aufzählen: das Gemeinschaftseigentum, eine Sozialphantasie, die ins Urchristentum zurückreicht; die Abschaffung der Ehe, die freie mitmenschliche Beziehungen verhindert und freie Liebe kriminalisiert; die Auflösung der Familie als autoritäre Erziehungsanstalt; die Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben; die Gleichberechtigung der Geschlechter. Das eigentliche Verbrechen Muehls besteht darin, dass durch die Art und Weise, in der er die alten Kommune-Ideale verriet, alle jene Menschen diskreditierte, die das Träumen noch nicht aufgegeben haben.
Ich frage mich eben, ob es einen Sinn hat, unser Projekt mit den Prozessen im Friedrichshof zu belasten. Das hieße ja, die wunderbaren Provokationen des Günter Brus zu relativieren, des Revolutionärs unter den Aktionisten, der naturgemäß zum größten Kritiker des Spießers in der Antispießermaske, Otto Muehl, wurde. Es war eine Brus-Aktion, die in ihrer Unkompliziertheit und in ihrer Evidenz am deutlichsten aufzeigte, wieviel Faschismus noch in den Köpfen der Wiener war: durch die sonderbare Kostümierung bei seinem «Wiener Spaziergang» im Jahre 1965 wurde er zum «Verbrecher». Kein Geschehnis bewies deutlicher, dass es höchste Zeit war, durch aktionistische Interventionen diese Vereisung Wiens in Frage zu stellen.
Trotzdem möchte ich ein letztes mal auf die Kritik am Aktionismus zurückkommen. Du scheinst dich lustig zu machen über die Vorstellung, der Perinetkeller verdiene eine symbolische Reinigung, nachdem er als Ort der weltbekannten Herren bezeichnet wurde, in dem Frauen im Rahmen der diversen Körperaktionen als namenlose Objekte, Materalien, Projektionsflächen missbraucht wurden. Kein Kampf kommt ohne symbolische, metaphorische Handlungen aus. Stört dich die Idee der Reinigung wirklich?
Als Hobby-Ethnologe würde es mir gefallen, einem Schamanen beim Vertreiben entbehrlicher Geister zum Zwecke der Raumpflege zuzuschauen. Auch hier ist Arbeitsteilung erwünscht. Ich fühle mich kompetenter, Informationen über die vergessenen Gefährtinnen der Aktionisten zu vermitteln. Hanel Koeck, die Ende der 60er für Nitsch und Muehl eine wichtige Rolle spielte, muss ins rechte Licht gerückt werden. Die Deutsche, die gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kunsttheoretiker Peter Gorsen, die Aktionisten begleitete, griff radikal, unerwartet und spektakulär in Aktionen ein. Hermann Nitsch gestand ihr spät, aber doch, eine Co-Autorschaft zu: In Hanel Koeck habe er eine «schöne, großartige, großzügige» Frau kennen gelernt, die seine Arbeit verstand.
Auch über Erika Stocker müsste man längst Vorträge halten. Sie teilte sich in der frühen Aktionisten-Zeit den Perinetkeller mit Otto Muehl und produzierte Materialbilder, die eine Vorstufe zu den späteren Materialaktionen darstellten. Muehl veröffentlichte später seine «Briefe an Erika». Ihre nicht minder interessante Gegenkorrespondenz ging angeblich verloren.
Die Fragen stellte Max Wachter.