INSTITUT OHNE DIREKTE EIGENSCHAFTEN (IODE) vulgo PERINET-KELLER

Der Ort

(01) Wer die Blechtür zum Keller des Hauses Perinetgasse 1 im 20. Bezirk aufmacht, was nur mit Anstrengung gelingt, wird enttäuscht sein von der Bescheidenheit des Raums, der doch in Kunstkreisen zwischen Scheibbs und Nebraska als Kultort der radikalsten künstlerischen Avantgarde Europas nach dem 2. Weltkrieg, der Wiener Aktionisten, bekannt ist. Im Perinet-Keller, von Otto Muehl 1962 angemietet und in selbstironischer Blasiertheit zum «Institut für direkte Kunst» erhoben, fanden viele Material- und Körperaktionen statt, die zum Teil von den Größen der österreichischen Film-Avantgarde, Kurt Krenn und Ernst Schmidt jun., filmisch dokumentiert wurden.

(02) Der Keller stand den AktionistInnen – Günter und Anna Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler – bis 1970 zur Verfügung. In diesem Jahr wurde Muehl mitgeteilt, dass der Perinet-Keller vom Gesundheitsamt zwangsgeräumt worden war. Die Behörde entsorgte die Bilder und Skulpturen des Künstlers, die im Keller gelagert wurden, als Abfall. «BesucherInnenrekord» gab es in der Perinetgasse am 28. Juni 1963. 300 AnrainerInnen und AnhängerInnen der «wahren Kunst» versammelten sich, schaulustig bis angriffslustig gestimmt, in der Gasse, in der Otto Muehl und Hermann Nitsch zu einem öffentlichen Schaumalen auf dem Asphalt und anschließend zum «Fenstersturz einer Küchenkredenz» aus dem Haus Perinetgasse 1 einluden. Bevor das passieren konnte, brach die in großer Zahl anwesende Polizei unter Beifall der GafferInnern die Veranstaltung ab.

(03) «Muehls und Nitschs Anliegen, in der direkten Arbeit mit Materialien, Körpern und psychophysischen Vorgängen die gesellschaftlichen Einschränkungen der sinnlichen Erfahrung aufzuheben, stieß auf die erzkonservative Gesellschaftsverfassung des damaligen Österreich» (Manuel Millautz im Mumok-Ausstellungskatalog «Wiener Aktionismus»). Der revolutionierte Werk-Begriff trennte die Aktionisten aber nicht bloß von den Konservativen, sondern auch von MalerInnen, die sich zu Linken zählten und ihre Kunst mit politischem Engagement zu synthetisieren versuchten. Für die Aktionisten war zum Beispiel die Abwürgung eines Happenings durch die Sicherheitsbehörde, vielleicht sogar noch die Verteidigungsrede eines angeklagten Aktionisten Teil des Gesamtkunstwerks. Andrerseits, wenn nichts passierte, wenn die Aktion ungehindert zu Ende ging, war auch das Werk aufgelöst, es bestand nur während der Performance. Walter Conrad Arensberg sagte bereits über den Dadaismus, den die Wiener Aktionisten wiederauferstehen lassen wollten, dass dessen Werke nicht in ein Museum passen, weil sie aufhören, Kunstwerke zu sein, sobald sie dauerhaft und nur zu passiven Betrachtung bereit an der Wand hängen «Alle, die ohne feste Regeln leben, die im Museum nur den Fußboden lieben, sind DADA. Die Mauern der Museen sind wie Friedhöfe, sie werden niemals DADA sein. Die echten Werke DADAs dürfen höchstens 6 Stunden leben.»

(04) Die «sensationellste» Aktion im Perinet-Keller ist als «Blutorgel» in die Geschichte der Avantgarde eingegangen. Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch begaben sich in eine dreitägige Arbeitsklausur im Keller, indem sie dessen straßenseitigen Eingang in einer dramatischen Inszenierung (der Keller besaß ja auch einen Ausgang Richtung Stiegenhaus, sodass von einer Selbsteinkerkerung keine Rede sein konnte) zumauerten. Nitsch setzte hier erstmals richtiges Blut als Malfarbe ein. Das «Blutorgelmanifest» informierte: «Wir haben uns zur Befriedung der Menschheit entschlossen, vier Tage in das Gewölbe niederzusteigen – woselbst wir uns einmauern lassen. Drei Tage schrankenlose Enthemmung, Befreiung von aller Brunst, Transponierung derselben in Blech, Schrott, verwesenden Abfällen, Fleisch, Blut, Gerümpel usw., die ganze Materie des Kosmos wollen wir verwandeln. Wir selbst werden uns nach diesen dreitägigen Exerzitien, bei welchen wir weder essen noch schlafen noch unsere Körper pflegen – natürlich ohne Frauen – gereinigt der feierlichen Ausmauerung entgegensehen.

(05) Schon zwei Jahre vor dem Höhepunkt der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der außerparlamentarischen Opposition erlebten die Mauern des Kellerateliers ein Happening gegen die amerikanische Aggression in Vietnam. Günter Brus und Otto Muehl laden im Juli 1966 zur «Vietnamparty» in die Perinetgasse ein. «Unsere Vietnamparty», heißt es in einem Flugblatt der Gastgeber, «unterscheidet sich grundsätzlich von den üblichen, nutzlosen Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam. Die Vietnamparty, veranstaltet vom Institut für direkte Kunst, bringt das Abschlachten von Menschen aus politischen, ideologischen, wirtschaftlichen, moralischen, religiösen Gründen, als einen Teil unserer Wirklichkeit, mithilfe verschiedener Materialien zur direkten Darstellung, was für denkende Menschen nicht ohne Bedeutung sein sollte.»

(06) Der politische Anspruch, der in diesen Zeilen evident wird, stand im Kontrast zu antipolitischen Attitüde vieler Handlungen der Aktionisten. Das hatten die Aktionisten mit dem zweiten Strang der Nachkriegsavantgarde Österreichs gemein, mit der schon Anfang der 1950er Jahre entstandenen «Wiener Gruppe» (Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener; manchmal wird auch Ernst Jandl zu diesem Kreis geschlagen). Mit dieser standen die Aktionisten in engem Austausch. Vanessa Hannesschläger meint, die «widersprüchliche Parallelisierung von Anarchismus und Apolitizität» sei symptomatisch für das Anliegen der Beteiligten, sich in Opposition zu existierenden und etablierten Formen politischer Führung zu stellen, insbesondere zu jenen des Staates, in dem sie sich befanden.

Das Projekt

(07) Nach der Zwischennutzung des Perinet-Kellers durch die Künstlerin Nicole Prutsch – ihr Projekt «Entsumpfung», das sie im November 2014 präsentierte, beinhaltete die Wiederherstellung des Ursprungszustands der Kellerateliers in einem einjährigem künstlerischen Bearbeitungsprozess – wurde der Keller seitens des Kulturamtes der Stadt Wien dem Aktionsradius Wien angeboten.

(08) In der dadurch angezettelten intensiven internen Diskussionen war bald klar, dass im Team des Aktionsradius kein Konsens über die Bedeutung des Wiener Aktionismus im Allgemeinen und über die Persönlichkeit des Otto Muehl im Besonderen erzielbar war. Schließlich setzte sich die Meinung durch, dass der Perinet-Keller, trotz seiner räumlichen Nähe, keine Dependance des Aktionsradius werden sollte. Einig blieb man sich in der Befürchtung, die Lokalität könnte infolge ihres kulturellen Mehrwerts einer kommerziellen Nutzung anheimfallen. Die Vereinnahmung der Wiener Aktionisten durch den herrschenden Kunstbetrieb hatte günstige Bedingungen für eine «feindliche Übernahme» des Kellerateliers durch die Kunstindustrie geschaffen. So sehr ihm die Konzeptionen der Aktionisten fremd blieben und so nachvollziehbar seine Ablehnung des Männerbündlerischen in der Gruppe um Muehl war: das Aktionsradius-Team wollte keinesfalls dazu beitragen, dass Muehls kleiner Freiraum in den Sog des großen Geldes gerate. Wie eine heiße Kartoffel wurde das Aktionisten-Atelier an eine Gruppe um Robert Sommer weiter gereicht, mit der Intention, die subkulturelle bzw. gegenkulturelle, jedenfalls nichtkommerzielle Bestimmung des Ortes zu bewahren.

(09) Das Kulturamt der Stadt Wien hat zur Kenntnis genommen, das anstelle des Kulturvereins Aktionsradius Wien, dem der Keller angeboten wurde, ein Netzwerk interessierter Personen sich selbst beauftragt hat, die«Bespielung» des Muehl-Kellers zu übernehmen. Das Kollektiv ist völlig unabhängig von der Stadt Wien; seine strukturelle Autonomie basiert einerseits auf dem Selbstausschluss des Perinet-Kellers aus der Masse der öffentlich geförderten freien Kunstszene, andererseits auf dem konkreten Eigentumsverhältnis. Das Haus Perinetgasse 1 ist ein Privathaus; die Gemeinde hat kein Zugriffsrecht auf den Perinet-Keller, dessen Nutzung durch einen privaten Mietvertrag zwischen einem Vertreter des Keller-Kollektivs und der Hauseigentümerin geregelt ist. Das «Institut» ist auch unabhängig vom Aktionsradius Wien – mit dem Unterschied, dass hier eine partnerschaftliche Kooperation auf Augenhöhe angestrebt wird. Die Gruppe besteht aus weniger als zehn AktivistInnen aus dem alternativ politischen, sozial innovativen und avantgardistisch (?) künstlerischem Bereich, eine Mischung von KünstlerInnen, KunstvermittlerInnen und «Berufsrevolutionären». Unter dem Namen «Institut ohne direkte Eigenschaften», der sich an den von den Aktionisten gewählten Namen anlehnt und sich gleichzeitig von ihm abgrenzt, wird das Kollektiv den Keller in der Perinetgasse zum Leben erwecken – und zwar intensiv.

(10) Der Wiener Aktionismus, der auch europaweit als kompromissloseste Avantgarde im Nachkriegs- und Kalter-Krieg-Europa gewürdigt wird, ist genug musealisiert worden. Es gibt keinen stimmigeren Ort als den Perinet-Keller, in dem der Musealisierung der Aktionisten eine leidenschaftliche Absage erteilt werden könnte. Den großen Institutionen der nachträglichen «Vergöttlichung» der Aktionisten – dem Mumok, das zur größten Avantgarde-Sammlerin geworden ist, dem Nitsch-Museum in Mistelbach oder dem Bruseum in Graz – ist anzulasten, dass sie durch ihre «tolerante» Aufbewahrung des aktionistischen Erbes die Stacheln ziehen, die in ihm ursprünglich angelegt waren. Diese Institutionen, allen voran das Mistelbacher Nitsch-Mausoleum, verharmlosen die Ideen des Aktionismus derart, dass unentwegt Schulklassen, in denen man sonst jeden Ansatz zu gesellschaftskritischem Denken erstickt, durch die Ausstellungshallen getrieben werden. Dokumentarisch ist das Institut ohne direkte Eigenschaften insofern, als es die dem neoliberalistischen Triumphzug geschuldete Vermarktung alles usrprünglich Revolutionären (für Brus trifft dieser Vorwurf nicht zu) kritisiert. Ein dosierte Bezugnahme auf die Geschichte des Kellers ist auch angebracht, um in der Aufmerksamkeitsökonomie zu punkten: Ohne die Mythen, die sich um Muehl, Nitsch und Co. ranken, bliebe der Ort ein Keller wie jeder andere, unbekannt und bald voller Gerümpel. Die Erzählungen, die aktionistischen Happenings betreffend, müssen von allen Romantizismen befreit werden, auch den Frauen zuliebe, die von Muehl und Co zu Aktionisten zweiter Klasse erklärt wurden: Zwar nahmen viele Frauen an den Körperaktionen im Perinet-Keller und anderswo teil, aber niemals wurden ihre Namen genannt. Sie blieben die anonymen «Modelle». Das männerbündlerische Wesen der Muehl-Gruppe ist in der Tat ekelerregender als die Summe aller Exkremente, die in ihren gesammelten Aktionen entstanden sind.

(11) Unter dem Titel «Erregung öffentlichen Ärgernisses» werden heute in der Regel nicht mehr ProtagonistInnen irritierender Kunst sanktioniert, sondern Randgruppenangehörige, denen weniger Plattformen zur Verteidigung ihrer Interessen zur Verfügung stehen als den zumeist aus Bildungsbürgerfamilien kommenden Revoluzzern. Der Diskurs des postmodernen «Alles ist erlaubt» verkennt jedoch die ungebrochene Fortdauer dieser Deliktkategorie. Sie bleibt ein Herrschaftsinstrument, doch erfolgte eine soziale Verschiebung nach unten hin. Bettlerinnen und Bettler in Wien lernen, dass oft schon ihre lautlose Präsenz in öffentlichen Raum als «Erregung öffentlichen Ärgernisses» eingestuft wird. Während also der «kunstüberwindenden» Kunst in den Post-Perinet-Jahrzehnten eine Selbstbefreiung aus den Fesseln der «Anständigkeits»-Normen weitgehend gelungen ist, tritt der Staat den exkludierten sozialen Gruppen (aber auch den politisch «gefährlichen» Gruppen) weiterhin als Polizeistaat gegenüber. Einer neuen Generation radikaler und kompromissloser Kunst- und Antikunstschaffender stünde also noch eine große Befreiungsanstrengung bevor. Das «Institut ohne direkte Eigenschaften» findet hier ein riesiges Interventionsfeld vor. Es regt die kooperierenden KünstlerInnen an, sich die Sichtweise des deutschen Anarchisten Erich Mühsam eigen zu machen, der vor einem Auseinanderdividieren von nonkonformistischen KünstlerInnen und gesellschaftlichen Randgruppen warnt: «Seid keine Philister, da Ihr allen Anlass habt, Rebellen zu sein! Paria ist der Künstler, wie der letzte der Lumpen! Wehe dem Künstler, der kein Verzweifelter ist! Wir, die wir geistige Menschen sind, wollen zusammenstehen – in einer Reihe mit Vagabunden und Bettlern, mit Ausgestoßenen und Verbrechern wollen wir kämpfen gegen die Herrschaft der Unkultur!»

(12) Der Perinet-Keller wird in einer vom Kollektiv bestimmten Intensität und Dauer zeitgenössischen KünstlerInnen und Gruppen jedes künstlerischen Genres zur Verfügung gestellt. Hier können sie ihre Projekte erarbeiten und/oder präsentieren. Ambitionierten künstlerischen Projekten der Gegenwart, die sich selbst zu den Ansprüchen und Leistungen der historischen Avantgarden in Beziehung setzen oder bei den Rezipienten als «neo-avantgardistisch» gelten, wird von kritischen BeobachterInnen der Szene nicht selten Harmlosigkeit und Belanglosigkeit attestiert. Das Keller-Kollektiv wird präferenziell mit Personen und Gruppen kooperieren, die das Dilemma der Belanglosigkeit aller sich als kritisch verstehender Kunst reflektieren und das Rätsel der Avantgardefunktion in der Gegenwart zu lösen versuchen: Kann Kunst heute noch provozieren?

(13) Der postmoderne Mainstream verneint natürlich diese Frage sofort. Je vehementer diese Frage verneint wird, desto mehr legitimiert das den Verzicht auf die Provokation, die möglich wäre. Ein Beispiel: Wenn ein psychisch kranker junger Mensch, der ein Delikt begeht, aufgrund der Gesetzeslage keiner Therapie zugeführt wird, sondern dem Strafvollzug, noch dazu in Isolierhaft, und wenn er eines Tages erhängt in seiner Zelle aufgefunden wird, handelt es sich um einen Ermordung durch eine Instanz des Staates. Justizminister und Gefängnisdirektor wären in den angenommenen Fall (leider ist er nicht fiktiv) die Haupttäter. Sie als Mörder zu denunzieren, wäre eine künstlerische Herausforderung (eine außerkünstlerische, nur mit Mitteln der Politik arbeitende Anklage würde mithilfe des Verleumdungsparagraphen aus der Publizität verschwinden).

(14) Laut Duden gibt es folgende Synonyme für den Begriff Provokation: Anmaßung, Brüskierung, Dreistigkeit, Frechheit, Herausforderung, Kampfansage, Kriegserklärung, Reizung, Unverfrorenheit, Unverschämtheit, Affront. Mit Ausnahme der «Herausforderung» und der «Kampfansage» überwiegen also überlegen die Negativ-Bedeutungen. Einer Künstlerin, einem Künstler, die/der das Mittel der Provokation wählt, um Normen, die keinen Humanitätsgehalt haben, in Frage zu stellen, würde mensch heute nicht mehr Unverfrorenheit vorwerfen; Herbert Marcuse schein recht gehabt zu haben: Nur in der Kunst habe die bürgerliche Gesellschaft die Verwirklichung ihrer eigenen (Freiheits-)Ideale geduldet und sie als allgemeine Forderung ernst genommen. Was im Alltag und der Politik als Utopie, Phantasterei, Umsturz gelte, sei in der Kunst gestattet. Statt die Freiheit zu nutzen, die die bürgerliche Gesellschaft in der Kunst toleriert, und statt kompromisslos die Grenze auszuloten, ab der die provokative Intervention der Künste das System nicht mehr affirmiert, sondern stört, betonen heute selbst führende Vertreter_inner der Provokationskunst rund um die 68er Jahre die Sinnlosigkeit des Provozierens. Der Kunstbetrieb habe einen Saumagen und schlucke alles. Das Institut ohne direkte Eigenschaften hält das Provokationsrecht aus zweifachem Grund nicht erledigt. Erstens verlangt die Dreistigkeit der 60 reichsten Personen, die Hälfte des Reichtums des Planeten zu besetzen, nach Gegen-Dreistigkeit. Zweitens wäre an das klassische Recht auf zivilen Ungehorsam in der römischen Antike anzuknüpfen, dem der Begriff der Provokation entnommen ist. Das Provokationsrecht (ius provocandi) war in der römischen Republik das Recht eines jeden Bürgers, das Volk um Beistand anzurufen (lat. provocare, dt. herbeirufen, aufrufen), wenn er Leib und Leben durch die Gewalt staatlicher Magistrate bedroht sah. Dieser Provokation (lat. provocatio ad populum, dt. Berufung ans Volk, Anrufung des Volkes) genannte Vorgang galt als Zeichen der plebejischen Freiheit und politisches Mittel gegen das Strafrecht patrizischer Beamter. Es ist vergleichbar mit dem ius auxilii der Volkstribune. Das Volkstribunat schritt gegen Entscheidungen und Maßnahmen patrizischer Beamter und des Senats ein. Dabei stützte es sich auch auf ein religiöses Tabu: Die Person eines Volkstribunen galt als sakrosankt, unverletzlich. Dem revolutionären Künstler, der revolutionären Künstlerin von heute fällt die «heilige» Aufgabe zu, die Nachfolger der herrschenden Patrizier von einem Schock zum anderen zu führen.

(15) Weil aber die Kunst alles darf (dass dieser Satz heute ein Gemeinplatz ist, ist unter anderem den Interventionen der Avantgardebewegungen für die Freiheit der Kunst zu verdanken), ist die Provokation nicht als Imperativ zu verstehen. Niemand hat die Pflicht, staatsfeindlich, elitefeindlich, kapitalismusfeindlich, konsumfeindlich zu sein. Keine politische Kunst ist n u r politisch. Keine apolitische Kunst ist n u r apolitisch. So nahe das Institut ohne direkte Eigenschaften ihren Lieblings-Ismen steht (Aktionismus, Surrealismus, Dadaismus, Situationismus, Kosmopolitismus, Anarchismus): sie sind keine Eintrittskarten in das Atelier Perinet-Keller. Keine Instanz wird beurteilen, ob die Schublade, in die künstlerische Projekte oft versenkt werden, perinet-tauglich ist. Der Dadaist Francis Picabia: «Klassifizierungen sind gerade noch notwendig für Lehrbücher und Begriffstützige. Mir graut vor den Standesämtern, den Uniformen und der fixen Idee, Dichter und Künstler auf dieselbe Art zu katalogisieren – übrigens ist die Klassifizierung der Quallen vielleicht genauso schwachsinnig wie die der Dichter.» In Paris soll es 1914 rund 50 künstlerische Ismen gegeben haben, vom Primitivismus bis zum Totalismus). Zu hoffen ist, dass möglichst viele dieser Selbstdefintionen einer unübersichtlichen Szene der Kunstmoderne nicht ganz ernst gemeint waren.

(16) Das Institut ohne direkte Eigenschaften freut sich über die Anteilnahme der BewohnerInnen ihres Grätzls, auch wenn sie darin besteht, die Frage zu stellen: «Und das soll Kunst sein?» Vielen Leuten fällt es schwer, eine solche Frage zu stellen, weil sie Angst davor haben, als «Kunstlaien» überführt zu werden. Ein «Insider« oder einer, der als solcher gelten will, vermeidet diese Frage. Sinnvolle Diskussionen sind nur mit ersteren möglich, meinen BetreiberInnen des Perinet-Kellers-neu. Das Institut strebt eine lebendige kommunikative Beziehung zu seinen NachbarInnen an.

(17) Das Institut ohne direkte Eigenschaften ist ein unhierarchisches, basisdemokratisches, auf Konsensbeschlüsse orientiertes Team. Weil es die «Segnungen» der Kulturförderung nicht teilen will, besteht auch kein Anlass, dass sich das Institut zu einem statutarischen Verein im Sinne des Vereinsrechts entwickelt. Da aus baulichen Gründen dem Perinet-Keller vermutlich nie Veranstaltungstauglichkeit attestiert werden würde, werden die Veranstaltungen zu «Besichtigungen» erklärt; alle BesucherInnen gelten als Clubmitglieder. Das Kriterium dafür muss noch diskutiert werden. Zunächst lautet der Vorschlag: «Clubmitglied ist jede/r, die/der es schafft, die steile Stiege in den Perinet-Keller unversehrt zu bewältigen. Für BesucherInnen mit Handikaps wird das «Institut ohne direkte Eigenschaften» institutseigene Sherpas einsetzen. Die Kollektivmitglieder arbeiten ehrenamtlich im Club. Für Monatsmiete und KünstlerInnenhonorar geht der «Mann mit Hut» herum. Die KünstlerInnenhonore sind soziale Umverteilungen. Ihre Quelle sind die Geldbörsen wohlhabender ZeitgenossInnen, die vom «Hype» des Ortes angezogen werden. Insofern streitet das Institut ohne direkte Eigenschaften seine grundsätzlich positive Beziehung zum Hype des Ortes nicht ab.

(18) Das Institut ohne direkte Eigenschaften möchte einen Beitrag dazu leisten, dass man in Wien ohne Angst anders sein kann.