PERINETKRISE: KANN DIE KUNST NIEDERGELEGT WERDEN?

Noch ein paar Lockdowns, dann ist das Jahr um, und wenn im übernächsten Jahr, 2024, das Klima zu einer Kategorie des Krieges (der Menschheit gegen ihresgleichen) wird, kann sich niemand mehr an den Perinetkeller erinnern; das Schauspiel des Versinkens der Stadt Venedig okkupiert die Publizistik; langsam verwandelt sich der Eiterschleim der Seuche in ein mexikanisches Zitronenbier zurück; ebenso vergessen wie der schockierende Knall beim Einsturz der von einer sympathisierenden Mischpoche gebauten Kellerstiege mitten im Karl-Marx-Geburtstagsfest; sie war genau so konstruiert worden, dass sich im Fall ihres Zusammenbrechens niemand verletzen konnte; vergessen ist das Boot, das in einer Höhe von 1,5 Meter in der Stratosphäre des Kellers schwebte, aber die meisten KellerbesucherInnen waren größer als 150 Zentimeter; der Kunst zuliebe verließen sie die Eingangstreppe des Todes mit gespielter Gelassenheit, jedoch mit beleidigten Bandscheiben; aus gutem Grunde vergessen ist der oft abendfüllende Balztanz zwischen Felix und Robert, selbst außerhalb jeder Brunft; allen unseren Köpfen entschwunden ist Victors Kampf gegen das Zutrittsrecht der Wichtel (nämlich der Nichtraucher); vergessen ist der Gram des achtzigjährigen Nitsch, der beim Holzofen saß und über die Musealisierung des Gewölbes meckerte …

Kann man sagen, dass der Staat mit seinem Corona-Krisenmanagement Katz und Maus mit uns Künstlern und Kulturvermittlern spielte? Dass er uns so vorführte, dass wir das Bachmannsche Geheimwissen, unser Tag werde kommen, verloren? Scheinbar mit der Fähigkeit ausgestattet, klar zu prognostizieren, was 23 Jahre später eintreten würde, hat unser aller Franz Schuh die Möglichkeit, dass im modernen Kapitalismus überhaupt jemand der Kunst eine nachhaltige Niederlage zufügen könnte, bezweifelt.

Im Jahr 2009 hat Franz Schuh in der Ausgabe Nr.1 des Magazins THEMA, der Publikation der Angewandten (auch dieses Medium ist heute vergessen) den Mut gehabt, sich für eine «Plattheit» stark zu machen, für eine der kunstfeindlichsten Plattheiten aus der Sicht der kritischen Kunstschaffenden. Es geht um die Phrase von der Krise als «Chance für die Kultur.« Damals, 2009, hatte man natürlich in erster Linie die Krise der Ökonomie, der Finanzwirtschaft und der damit verbundenen Krise der Politik, des parlamentarischen Systems im Sinn.

Parallel zu den kritischen Massen der zivilen Gesellschaft – zwischen KlimaschülerInnen und Gelbwesten – besetzte die politisch engagierte Kunst den aus Straßenkampf, Platzanarchie, Kellerkontroversen, Partynächten und sozialen Medien zusammengesetzten öffentlichen Raum. Die neue Dimension der Gesamtkrise, die moderne Pest, stiehlt der Revolution vor allem die Nacht. Uns die Nacht, euch die Macht, haben die Großeltern noch gerufen. Die Quarantänesituationen, verbunden mit der durch die kulturellen Veranstaltungsverbote grassierende Künstlerarmut, macht erstmals die Kunst zum scheinbar größten Opfer der Krise.

Den möglichen Widerspruch dazu hat Schuh vor mehr als zwei Jahrzehnten vorweggenommen. «So wie ich mein Leben lang in prekären Arbeitsverhältnissen gearbeitet habe, überrascht mich ein prekäres Arbeitsverhältnis in der Zukunft nicht. Mich würde auch die Not nicht überraschen, denn so weit entfernt war sie mir nie. Dasselbe gilt auch für die so genannte Kulturkrise. Es ist schwierig zu definieren, was Kultur ist, und es ist ebenso schwierig herauszufinden, ob das Wort Kultur überhaupt einen Sinn hat. Aber falls doch, dann wäre eine Kultur, die nicht in der Krise ist, Burgtheater im schlechtesten Sinn, Oper im schlechtesten Sinn, also Staatstheater im schlechtesten Sinn. Kultur ist per se eine Kriseninstitution, eine Errungenschaft, die das Krisenbewusstsein konserviert. Außerhalb dieser Krise sind die festen, die erstarrten Formen. Die Kultur ist eine Art von Dynamik, diese starren Formen hervorzubringen und sie immer zu stören.»

Es ist letztklassig, der Regierung zu unterstellen, sie missbrauche das Corona-Virus, um avantgardistische, experimentelle, auf Provokation angelegte, staatsferne Kunst auszuhungern. Niemand von uns würde sich zutrauen, Entscheidungen zu treffen, wo Freiheitseinschränkungen zum Zweck des Eindämmens der Virus-Wirkung gangbar wären. Und hätte Franz Schuh das von uns Zitierte tatsächlich als Akt der Prophetie verstanden, müssten wir ihn auf einen Fehler aufmerksam machen: Die Regierung opfert dem Krisenmanagement nicht nur die Subkultur. Freilich verdienen die Burgtheaterstars und die Philharmoniker so viel, dass wir sie aus unserem Vorschlag, das garantierte Grundeinkommen für Kunstschaffende einzuführen (allerdings nicht so knausrig wie im reicheren Zürich, wo die KünstlerInnen für 5 Monate einen Gesamtgehalt von 3500 Euro kriegen) ausklammern müssen.

Kunstschaffende gelten generell als staatsfern (boshaftes Synonym: Nestbeschmutzer). Das kann für sie schlechte Auswirkungen haben, in der Regel assoziiert man sie am wenigsten mit dem System der Korruption, und kaum eine Gruppe verfügt über einen größeren Bonus der Unabhängigkeit von der Politik. «Die Politik lügt, sagt der Volksmund, nicht «die Kunst lügt.» KünstlerInnen sollten in der Debatte um die Krisenbekämpfung das Gewicht ihrer Meinung realisieren. Thea Dorn, die Moderatorin des Literarischen Quartetts (ZDF), sagte in der SZ vom 6. Februar 2021: «Am Anfang hieß es. Wir tun alles, um dem medizinischen Personal das Leben zu erleichtern. Mittlerweile heißt es aber immer öfter: Wir wollen das Virus ausrotten. Was für ein Hochmut! Ist es der Menschheit bislang etwa gelungen, Grippeviren oder das HI-Virus auszurotten? Es wird darum gehen müssen, einen Modus zu finden, wie wir auch mit diesem neuartigen Coronavirus leben können. Leider wird, wer diese Meinung vertritt, attackiert. Wir müssen neu akzeptieren. dass es auf der Welt Dinge gibt, die unberechenbar sind, dass es keine Beschwerdehotline ins Schicksal gibt. Das ist für mich der Schlüssel zu einem Geborgenheitsgefühl.»

Nach all dem Gesagten fällt uns kein Argument ein, das uns eine befriedigende Antwort auf unsere Frage gibt, warum es besser sei, den Perinetkeller zu schließen als die Waffenhandlungen Vorschlag im Guten: Ab 1. April 2021 werden die österreichischen Rüstungsbetriebe, die Menschenschließfach-Liner und die Langstreckenflüge gesperrt. Am 1. Mai 2020 baut die Strabag ein Klo in den Perinetkeller.

Robert Sommer


Der Perinetkeller ist das ehemalige Atelier der Wiener Aktionisten und wird seit Juni 2016 vom Institut ohne direkte Eigenschaften (IODE) ohne Subventionen betrieben. Spenden sind erwünscht. Kein Konsumzwang. Getränke gegen Spenden. Wir raten dringend, ein persönliches Glaserl mitzubringen – andernfalls droht der Plastikbecher. Klo am Platz (ca. 100 m).

 

IODE . Perinetkeller . Perinetgasse 1, 1200 Wien . www.perinetkeller.at
facebook.com/IODE.Perinetkeller

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