Warum wir uns einmauern mussten

1962 haben sich Otto Muehl, Hermann Nitsch und Adolf Frohner im so genannten Perinet-Keller, dem Kelleratelier der Wiener Aktionisten zwischen Gaußplatz und Donaukanal, einmauern lassen. Für www.migrazine.at (1/2014) schrieb Elisabeth Priedl folgenden Beitrag:

Das Blut zwischen Opfermythos und Befreiungsritual

Elisabeth Priedl
Die Aktionskünstlerinnen der 1960er Jahre stellten die Geschlechterordnung vehement infrage. Den eigenen Körper und das Menstruationsblut erhoben sie dabei zum künstlerischen Material.

„Wir haben uns zur Befriedung der Menschheit entschlossen, drei (vier) Tage in das Gewölbe niederzusteigen. (Wo selbst wir uns einmauern lassen.) Drei Tage schrankenlose Enthemmung, Befreiung von aller Brunst, Transponierung derselben in Blech, Schrott, verwesenden Abfällen, Fleisch, Blut, Gerümpel usw., die ganze Materie des Kosmos wollen wir verwandeln. WIR SELBST werden nach diesen dreitägigen Exerzitien, bei welchen wir weder essen noch schlafen noch unseren Körper pflegen – natürlich ohne Frauen -, gereinigt der feierlichen Ausmauerung entgegensehen.“ (aus: Adolf Frohner, Otto Muehl, Hermann Nitsch: Manifest „Die Blutorgel“)

Das Gründungsmanifest des Wiener Aktionismus spricht eine drastische Sprache. Damals, im Jahr 1962 in Wien, setzten drei junge männliche Künstler mit einer provokanten dreitägigen Performance ein deutliches Zeichen gegen die repressiven gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit. Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch beschworen mit ihrer dionysischen Aktion die Authentizität und Wiedergeburt einer kraftvollen Kunst, die das Triebhaft-Unbewusste zutage fördern sollte und gegen Sublimierung, Idealisierung und Verdrängung gerichtet war. Dafür ließen sie sich in einem Kelleratelier einmauern und am vierten Tag vom anwesenden Publikum befreien.

Die Analogien zur christlichen Ikonografie waren nicht zu übersehen: Höhepunkt der Aktion waren die blutige Ausweidung und das Teilen eines geschlachteten Lamms, das mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wurde. Die Radikalperformance und das Aktionstheater waren als Provokation geboren, infolge wurden Selbstverstümmelungen, Zerreißproben, massenhafte Blut-Schüttungen und das Orgien-Mysterien-Theater vollzogen – „natürlich ohne Frauen“. Ihre Rolle war im Wiener Aktionismus meistens eine von den männlichen „Schöpfern“ zugewiesene, und die Aktionistinnen übten sich – anfänglich – in sublimeren Ausdrucksweisen, wie auch eine aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle Krems zeigt.

Selbstverletzung als Kritik

Ab den 1970er Jahren floss aber auch in den Performances von Künstlerinnen reichlich Blut, wobei die Reaktion auf die christliche Opfertradition, wie generell im Wiener Aktionismus, eine zentrale Rolle spielte. Marina Abramović und Gina Pane schockierten, als sie sich in diversen Performances mit Rasierklingen und Glasscherben Wunden in ihre Leiber schnitten bzw. blutige Selbstgeißelungsszenen durchführten und damit ambivalente Figuren schufen, die Opfer und Täterin in einer Person vereinten. Marina Abramović ließ sich 1975 in ihrer Aktion „Die Lippen des hl. Thomas“ einen fünfzackigen Stern in den nackten Bauch ritzen und anschließend blutig peitschen, was sie in eine prekäre Lage zwischen Leben und Tod, Macht und Ohnmacht brachte.

Die Rituale der Selbstverletzung sollten auf symbolische und metaphorische Weise gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen aufzeigen – als aktiv Handelnde führten die Künstlerinnen vor allem die Rolle der Frauen drastisch vor Augen. Indem sie ihre eigenen Körper als verwundbar und gebrochen thematisierten und lebensbedrohende Risiken auf sich nahmen, loteten sie Tabus und die Grenzen der sozialen Ordnung aus, um die in geschlechtsspezifischen Identitäten eingebetteten Verhältnisse von Macht und Verlangen zu hinterfragen.

Menstruationsmythen

Dem Ritual der reinigenden, der Katharsis dienenden Opferblutung, wie sie im männlich dominierten Aktionismus entwickelt wurde, wurde ab Mitte der 1960er Jahre eine feministische Variante entgegengestellt: die Sichtbarmachung der Menstruationsblutung, ein Tabuthema in fast allen patriarchalen Gesellschaften nicht erst seit der Antike. In allen drei großen Weltreligionen, der jüdisch-christlichen, der muslimischen und der hinduistischen, wurden (und werden) menstruierende Frauen mit Absonderungsritualen belegt und männlicher Kontrolle unterworfen. Ihre Stigmatisierung als „unrein“ hat bis heute gewaltige Auswirkungen.

Die älteren vorpatriarchalen Schöpfungsmythen hingegen gingen von einer fundamentalen Bedeutung der Menstruation für die Menschheit aus, was sich in vielen matriarchalen Mythen niederschlägt, in denen das Menschengeschlecht regelrecht aus dem Gebärmutterblut der Mütter hervorging. So entspringt etwa den Vorstellungen vieler indigener Gesellschaften Südamerikas zufolge das gesamte Menschengeschlecht dem „Mondblut“. Darin spiegelt sich der vielfach beschworene Zusammenhang zwischen Mond- und Menstruationszyklus wider, der sich auch in unserem Sprachgebrauch wiederfindet (das deutsche Wort „Monat“ leitet sich etymologisch von „Mond“ ab).

Männliche Macht besudeln

Während bei den Wiener Aktionisten die drastischen Szenarien vor allem mit Tierblut inszeniert wurden, ging VALIE EXPORT 1967 einen Schritt weiter. Sie setzte in ihrem ersten Film ihr eigenes Menstruationsblut in Szene, indem sie dieses tropfenweise auf eine weiße Mauer fallen ließ, was durchaus als Kritik am – ebenfalls männlich dominierten – Action Painting gelesen werden kann: Statt Farbe und weißer Leinwand war es die eigene Körperflüssigkeit, die die Malerei ersetzt. In einem weiteren Film, „Mann & Frau & Animal“ (1970-73), in dem VALIE EXPORT das Tabu der weiblichen Masturbation aufgreift, ist in einer Sequenz eine blutige Vulva zu sehen, in einer anderen, wie aus einer blutenden Hand Tropfen auf das Bild einer Vulva fallen.

Die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer Körperlichkeit und Identität wurde insbesondere in der feministischen Body-Art in den USA zum Thema gemacht. Shigeko Kubota simulierte 1965 in ihren „Vagina Paintings“ eine Malerei mit Menstruationsblut, indem sie mit einem Pinsel zwischen den Beinen einen unter ihr liegenden weißen Papierbogen gestisch bemalte. Weitere Meilensteine sind Faith Wildings Installation „Sacrifice“ aus dem Jahr 1970, Judy Chicagos „Red Flag“ (1971) und ihr bekannter „Menstruation Bathroom“ (1972) sowie Carolee Schneemanns „Blood Work Diary“ (1972).

Wilding konfrontiert die beiden mythologischen Blutbahnen, das christliche Opferblut, das – aus der Seitenwunde Jesu Christi rinnend – den Pakt des neuen Bundes begründete, und das weibliche Menstruationsblut: Der Altar mit dem Kreuz befindet sich vor einer Wand, die mit Menstruationsbinden bestückt ist. Aus diesen fließt in dicken Strömen weibliches Blut herab, als Sinnbild für den Ursprung allen Lebens. Vor dem Altar liegt eine weiß gekleidete Puppe mit geöffneter blutroter Bauchhöhle und freigelegten Organen: die Frau als Opfer in einer patriarchal dominierten Religionsgemeinschaft, in der sie nur als getötete Märtyrerinnen einen den Männern zugestandenen Status erreichen können – dying to be men.

Prä-Feuchtgebiete

Seit den radikalen Performances, Filmen und Installationen von Künstlerinnen der 1970er Jahre gehörte die Thematisierung und Visualisierung weiblichen Blutes, symbolisch wie real, zum etablierten Repertoire feministischer Künstlerinnen. Ab den 1980ern wandelte sich allerdings der Zugang zu diesem Thema von einem religions- und gesellschaftskritischen in einen spielerisch-ironischen, wie etwa in Pipilotti Rists Film „Blut Clip“ von 1993, in dem sie sich sowohl mit Edelsteinen als auch mit großzügig rinnendem Menstruationsblut im Wald und Weltraum zeigt. Das Kameraauge fährt dabei im extremen Close-up ihren Körper entlang und kontrastiert die kühlen Steine auf der Haut mit dem warmen, fließenden Blut. „Wenn du als Frau den Saft nicht rausbringst, dann bleibt er in der Vorstellung weiterhin mit Unreinheit verbunden. Wir sehen Blut gewöhnlich in Zusammenhang mit Verletzungen. Aber wenn wir Frauen bluten, dann ist das ein Zeichen von Gesundheit“ (Pipilotti Rist).

Künstlerinnen, die sich seit den späten 1960er Jahren in grausamen und provokant empfundenen Aktionen für die Rehabilitierung des Menstruationsblutes exponiert haben, und Theoretikerinnen wie die Psychoanalytikerin Julia Kristeva, die in ihrer Theorie des „Abjekten“ (als Gegensatz zum Subjekt und Objekt) neue Diskurskreise eröffnet hat, haben entscheidend dazu beigetragen, die Identität, Ordnung und Grenzen unserer Gesellschaft bewusst zu machen und zu erweitern. Ihnen ist zu verdanken, dass Jahrzehnte später ein Roman wie „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche solch ungeahnte Popularität erlangen konnte.