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Herbert Stumpfl: 50 Jahre „Kunst und Revolution“ und Die Jahre am Friedrichshof
7. Juni 2018 @ 19:30
50 Jahre „Kunst und Revolution“ und Die Jahre am Friedrichshof
Teil vier der Dokumentationsreihe über die Wiener Aktionisten: Herbert Stumpfl spricht über „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1 des NIG, in der Boulevard-Presse kurz „Uniferkelei“. Und über das Leben in der sog. „Muehl-Kommune“ am Friedrichshof im Burgenland und deren Ende.
Am Donnerstag, 7. Juni 2018, ist es exakt fünfzig Jahre her, da die radikalsten Künstler Österreichs im seither weltberühmten „Hörsaal eins“ des Neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität in einem gemeinsamen Happening aufgetreten sind. Herbert Stumpfl liest über dieses und ein zweites Kapitel aus seinen Reflexionen: „Die Kommune Friedrichshof“
Kunst und Revolution – Ferkelei und Exil
(Zitat von Vanessa Hannesschläger, 3. September 2015)
Die politische oder juristische Verfolgung von Kunstschaffenden wird allgemein mit totalitären Regimen und Diktaturen assoziiert, doch die Geschichte der Emigration Günter Brus’ aus Österreich in den 1960er Jahren zeigt, dass auch konservative Demokratien ihre Kreativen zuweilen durch juristische Verfolgung vertreiben.
Im Jahr 1968 fand im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien die Veranstaltung “Kunst und Revolution” statt. Auf der Bühne standen österreichische Aktionismusschaffende (neben Günter Brus auch Otto Muehl, Malte Olschewski, Peter Weibel, Oswald Wiener und VALIE EXPORT)1, die Handlungen durchführten, die dank einer Schlagzeile der Kronenzeitung als “Uni-Ferkelei” im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben sind:
„wir sind dran: hinter mir, mit schrillender kommandopfeife marschieren nackt stumpfl, anastas und herrmann, besteigen den katheder, ich notiere auf die tafel: wer kann weiter / beginnt der pinkelwettbewerb, der sieger bekommt eine plastikrose. es folgt: schwechater, recht hat er, mit bierschaumspritzen, dieweil hat brus einen sessel auf den katheder gestellt, steigt drauf, nackt bis auf die socken, starrt vor sich, würgt sich einen, drückt, fährt sich mit’m finger zum arsch, verschmiert seine scheiße am körper, singt mit erregt gebrochener stimme die bundeshymne – jetzt ist feuer am dach, die versammlung ist elektrisiert, an den drei ausgängen trauben von leuten, die flüchten wollten und jetzt mit offenen mündern auf sakrileg-brus starren / nicht mehr rauskommen, da ist es, das fanal infernal, verstörtes schweigen im grellen licht, ende der vorführung, stehen sie rum, sind sie in die sessel geklebt, hängen an den eingängen.“2
“Kunst und Revolution” hatte für jene, die daran teilgenommen hatten, ein juristisches Nachspiel, das in Untersuchungshaft und Haftstrafen mündete:
“Brus, Mühl und Wiener werden verhaftet und erhalten zunächst 28 Tage Arrest als Verwaltungsstrafe. […] Einen Tag nach Erhalt ihrer Verwaltungsstrafen werden Brus, Mühl und Wiener in Untersuchungshaft genommen. Nach zwei Monaten U-Haft wird Wiener vom ‘Schwurgerichtshof beim Landesgericht für Strafsachen Wien’ frei gesprochen, da er nicht, wie unterstellt, zur Wiederholung der Aktion im Stephansdom aufgerufen hat. Er erhält aber keine Haftentschädigung. Brus erhält sechs Monate strengen Arrest wegen ‘Herabwürdigung österreichischer Symbole’ und ‘Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit’. Seine beiden Vorstrafen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses werden im Urteil als strafverschärfend gewertet. Mühl wird ‘wegen vorsätzlicher körperlicher Beschädigung’ zu vier Wochen Arrest verurteilt und erhält keine Haftentschädigung für die zu lange U-Haft. In zweiter Instanz wird Brus’ Strafe auf fünf Monate reduziert.”3
Ob man auf der Ebene der Ästhetik Verständnis für die Art und Weise aufbringen kann, in der die Wiener Aktionismusschaffenden ihre Perspektiven ausdrückten, ist den Rezipierenden selbst überlassen. Nicht zur Diskussion steht aber, dass es sich bei dem, was im Rahmen von “Kunst und Revolution” geschah, um Kunst handelt – die frei sein muss und nicht strafbar sein darf. So will es das österreichische Staatsgesetz4, wenngleich das österreichische Strafgesetzbuch für die “Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole”5 auch heute noch eine Haftstrafe von bis zu sechs Monaten vorsieht. “Die Dauer der U-Haft im Verhältnis zu den Urteilen gegen Wiener und Mühl erlaubt, daran zu zweifeln, dass Gerechtigkeit der einzige handlungsleitende Maßstab der Justiz nach der massenmedialen Empörung war.”6
Dass die europäischen Justizen seit 1968 ein besseres Verständnis von der Freiheit der Kunst entwickelt haben, zeigen die jüngsten Freisprüche für Jonathan Meese nach Anklagen wegen des künstlerischen Einsatzes nationalsozialistischer Symbole auf der Bühne.7 Die Staaten der 1960er Jahre aber zwangen ihre Kunstschaffenden zur Emigration, wenn ihre Arbeiten die Grenzen eines diffusen “guten Geschmacks” überschritten und demnach in der öffentlichen Wahrnehmung nicht durch das Recht auf Kunstfreiheit geschützt waren. Der heute gefeierte Hermann Nitsch etwa verließ damals Österreich, da er in diesem Land keine Aktionen mehr durchführen durfte8 – aktuell ist ihm eine Ausstellung im Wiener Theatermuseum gewidmet. Mit dem juristischen Urteil über “Kunst und Revolution” war auch für Günter Brus der Zeitpunkt für die “Flucht aus Österreich ins Berliner Exil”9 gekommen – aus Wien, “dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet ist.”10
- Kunst im öffentlichen Raum Wien, http://www.koer.or.at/cgi-bin/koer/archiv.pl?id=5 (Zugriff: 23.8.2015) [↩]
- Gedächtnisprotokoll von Othmar Bauer, in: Die Welt bis gestern: „…matte sache, das ganze, bisher…“, Die Presse, 13.6.2008, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/weltbisgestern/390834/Die-Welt-bis-gestern_matte-sache-das-ganze-bisher (Zugriff: 23.8.2015) [↩]
- Thomas Dreher: Aktionstheater als Provokation: groteske Körperkonzeption im Wiener Aktionismus, http://dreher.netzliteratur.net/2_Performance_Aktionismus.html (Zugriff: 23.8.2015) [↩]
- Österreichisches Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, §17a, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000006 (Zugriff: 3.9.2015) [↩]
- Österreichisches Strafgesetzbuch, §248, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR12029797 (Zugriff: 3.9.2015) [↩]
- Vgl. Dreher: Aktionstheater (Anm. 3) [↩]
- Hitlergruß und Hakenkreuz: Jonathan Meese darf das, N24, 2.1.2014, http://www.n24.de/n24/Wissen/Kultur-Gesellschaft/d/4063878/jonathan-meese-darf-das.html (Zugriff: 23.8.2015) [↩]
- Vgl. Dreher: Aktionstheater (Anm. 3) [↩]
- Günter Brus: Das gute alte Wien, Salzburg und Wien: Jung und Jung 2007, S. 161 [↩]
- Ebd., S. 7 [↩]
Der Perinetkeller ist das ehemalige Atelier der Wiener Aktionisten und wird seit Juni 2016 vom Institut ohne direkte Eigenschaften (IODE) ohne Subventionen betrieben. Spenden sind erwünscht. Kein Konsumzwang. Getränke gegen Spenden. Wir raten dringend, ein persönliches Glaserl mitzubringen – andernfalls droht der Plastikbecher. Klo am Platz (ca. 100 m).