Begegnungen vor dem Perinetkeller

Begegnungen beim Permanent Breakfast vor dem Perinetkeller am 2. Oktober 2016.

Der Irokese aus der Perinetgasse.

Er ist in der Gasse aufgewachsen. Sein obligatorischer Sonntagsspaziergang führt ihn in die Gasse seiner Kindheit – und damit zum öffentlichen Gehsteigsfrühstück des Instituts ohne direkte Eigenschaften. Wenn ihr in den 50er Jahren hier die Sesseln und Tische auf die Straße gestellt hättet, wären die Fenster der gegenüberliegenden Häuser voller Kontrolleure gewesen, und die Frau Lang, die direkt über eurem Keller wohnte, wäre die erste gewesen, die die Polizei gerufen hätte, meinte er. Dennoch bedauert er, dass die Wohnung jetzt leer steht, denn in die Tochter der Lang sei er sehr verknallt gewesen. Er könne sich noch an den Badespaß im Donaukanal erinnern. Sein Vater war traditioneller Mohawk-Indianer aus dem Grenzgebiet Kanada-USA. Er selber sei Hippie gewesen und habe in London und in vielen anderen Städten gelebt, überall dort, wo es Woodstock-Musik und gute Drogen gab. Er schreibe an seinen Erinnerungen, ein Indianer in Wien, und freue sich, wenn er diese im Keller vorstellen dürfe. Aber er sei völlig schüchtern, sodass nur folgende Vorgangsweise möglich sei: Ein Schauspieler liest eine Auswahl aus seinen Texten und er sitzt mitten im Publikum (das von der Anwesenheit des Autors nichts weiß) und beobachtet die Reaktionen der Leute. Weil er ein Feind der Smartphones ist, kann man sich aber mit ihm schlecht etwas ausmachen. Manitou hat mich zu euch geführt, sagt er. Und Manitou wird auch bestimmen, wann es zur Lesung kommt. Das meint er eher ironisch, denn wir wissen inzwischen, dass er in der Kirche am Gaußplatz getauft wurde und sehr an die Maria, Mutter Gottes, glaube.

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Die alte Belgraderin.

Die Gehsteigmusik spielt auf – Claudia und ihr Klezmer-Trio. Schwer atmend, an einem Beatmungsapparat hängend, kommt eine ältere Frau näher. Sie strebt ihrer Wohnung in der Brigittenauer Lände zu. Sie nimmt die Musik wahr und fängt, mit erhobenen Armen, zu tanzen an. «Das ist ja m e i n e Musik», ruft sie, «das ist Musik aus Belgrad.» Als die Gruppe wirklich ein Lied spielt, dessen serbischen Text sie kennt, überschreitet sie ihre Grenzen. Fast geht ihr der Atem aus, schwer schnaufend muss sie sich setzen. «So liebe Leute», strahlt sie dann, «So liebe Leute». Sie kann es kaum glauben, auf österreichische MusikerInnen zu treffen, die ihre «Belgrader» Musik spielen.

Der titoistische Schachspieler.

Man muss Revolutionär sein, man muss für etwas kämpfen, lautet das Credo von Niko Marinkovic, der über den Flyer zum Frühstück gekommen ist. Auch er ist Belgrader. Wie ER denn kämpfe, wird er gefragt. Ich kämpfe mit dem, sagt er, und zieht ein russisches Schachbrett aus seiner Tasche, auf der eine Schachfigur zu sehen ist. So kämpfe ich, mit Schachspiel, sagt er. «Schach ist meine Sprache». Einwände, Schach sei eine höchst hierarchische Angelegenheit, revolutionäres Schach müsse die Bauern höchstbewerten, bedauert er mit mildem Lächeln. Er schlägt einen wöchentlichen Schachabend im Perinetkeller vor, kann aber nicht begründen, was das speziell Künstlerische an diesem Vorschlag sei. Er outet sich als einer der übrig gebliebenen Titoisten in Wien. Als ein Fan des gemeinsamen Jugoslawien. Übrigens hasst er Tauben, und nicht nur, weil eine der Tauben vom Mauervorsprung der Perinetgasse 1 aus auf seine Tasche, eine andere auf die Schultern eines der Veranstalter geschissen hat. In den Debatten am Gehsteig fällt er mit dem Kommentar «Das ist unglaublich interessant» auf. Es gibt kaum etwas, was ihn nicht unglaublich interessiert.

– rs –

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