von Robert Sommer
Als ich einmal den Perinetkeller vorstellen musste, fiel mir ein, ich könnte mit jeweils ein paar Sätzen die drei wichtigsten BenutzerInnengruppen erklären, um den hype des Kellers zu festigen. Nie würden sich selbständige Menschen in den feuchten und gefrorenen Keller begeben, wenn er schicksalsfrei und geschichtslos geblieben wäre wie eine aus der Ebbe einer Sandkiste aufgetauchte Plastikkinderflöte. Die erste Kellerpartie war eine Kellerpartei in mehrfacher Bedeutung des Namens. Der Perinetkeller war das Parteilokal der Trotzkisten. Es war also die Zentrale der österreichischen Sektion in der Vierten Internationale. Nutzergruppe N. 2 waren die Wiener Aktionisten, zu denen damals auch noch der Chef der Trotzkisten, Josef Dvorak, zählte. Und als Nutzergruppe 3 sind wir selber in dieses subkulturelle Erbe des Kellers eingebrochen.
Wir – das ist das Institut ohne direkte Eigenschaften – sind eine fünfzehnköpfige Chaos-Gruppe im diziplinlosen Sinn diese Wortes, die schlagartig weltweit bekannt wurde, als sie die Umbenennung des marktführenden österreichischen Rotweins forderte: Blauer Montag statt Zweigelt. Viele (besonders in den Zweigelt-Exportmärkten) wussten nicht, dass Zweigelt Antisemit und Nationalsozialist war, und die, die es wussten, waren überrascht zu hören, dass die huldigende Namensgebung in der Zeit der Kreisky-Regierung erfolgte. Es ist nicht übertrieben, von weltweiter Aufmerksamkeit zu reden. Unser Ansinnen, von der apa über die Kugel verstreut, traf auf ReporterInnen aller Kontinente, die die Gelegenheit genossen, wieder einmal einen österreichischen Weinskandal «aufzudecken».
Weil die trotzkistische Phase die unbekannteste geblieben ist, zitiere ich den Obertrotzkisten Dvorak, der in schon schwer betagtem Zustand von Gerhard Oberschlick interviewt worden ist. Dazu muss man wissen, dass Josef Dvorak Redaktionsmitglied der von Oberschlick geleiteten Zeitschrift «Neues Forvm» war. Die Vierte Internationale, Abteilung Österreich, hatte sich wieder einmal gespalten, und es begann ein Kampf um das Recht, den Perinetkeller zu benützen. Die ursprünglichen Mieter gehörten der Pablo-Gruppe an, das heißt, sie sympathisierten mit der italienischen, franzöischen und englischen Fraktion des Trotzkismus, sagte Dvorak. Irgendwann in den 50 Jahren nahm er junge Leute auf, die sich aber auf die Seite Ernest Mandels geschlagen hatten. An ihm hingen vor allem die deutschen Trotzki-AnhängerInnen. Tiefenpsychologe Dvorak ist von beiden Richtungen akzeptiert worden; darüber wundert er sich heute noch. Die trotzkistischen Organisationsformen waren natürlich alles andere als antiautoritär und anarchistisch, sodass es Dvorak nicht schwer fiel, den zerstrittenen Haufen – die Zerstrittenheit war sozusagen konstituierend für die Vierte Internationale – aufzulösen.
Ja, er sei der Parteiführer gewesen, erinnert sich Dvorak, doch seine Partei habe zuletzt aus drei Männern und einer Frau bestanden. Als es selbst in dieser Miniguppe zu kriseln begann, zuckte der Pateiobmann aus und beendete den österreichischen Abschnitt der Geschichte der Vierten Internationale. «So konnte ich mir dann zuschreiben, dass ich derjenige war, der die letzte österreichische Bastion des Trotzkismus, noch von Leo Trotzki selbst begründet, verkörperte. Nachweislich, weil die Briefe vom Trotzki, die den Perinetkeller-Trotzkismus als von ihm gegründete und damit authentische Abteilung der Gesamtpartei ausweisen, in meinem Besitz sind», erklärte Dvorak. Die Erfolglosigkeit war aber in der 1938 in Paris gegründeten Gegen-Weltpartei zur Kommunistischen (Dritten) Internationale angelegt.
Ihrer Konstruktion lag der gewaltige Irrtum zugrunde, der Stalinismus werde sich im Laufe des Zweiten Weltkriegs gründlich diskreditieren und die Vierte Internationale stünde dann bereit, die verwirrten kommunistischen Parteien wieder auf die Siegerstraße zurück zu führen. Wenn Josef Dvorak heute jemanden bekannt ist, dann wahrscheinlich nicht als ranghöchster österreichischer Trotzkist, auch nicht als Freund und Unterstützer Otto Muehls, sondern als maßgeblicher Satanismus-Experte des deutschen Sprachraums. Sein 1989 erschienenes Buch über den Satanismus gilt als Standard-Werk. Vielleicht ist er über die Beobachtung der dämonischen Aspekte in der Seele seines Freundes Muehl zum Satanismus gekommen.
1973 schrieb Dvorak an den damaligen Forvm-Herausgeber Nenning: Lieber Freund! Nach der genauen Lektüre des Jänner-Forvms kann ich dir für deinen Einsatz nur herzlich bedanken, und auch dafür, dass du mit Fleiß und Gedankenschärfe den völlig fruchtlosen Versuch gemacht hast, den Wiener Aktionismus Otto Muehls zu würdigen. Das konnte dir deshalb nicht gelingen, und dafür kannst du nichts, weil du noch nicht weißt, dass alle Ideologien und gesellschaftlichen Projekte, also auch der Sozialismus, leider völlig überholt sind, und weil nicht bekannt ist, welche Erkenntnisse und Pläne eigentlich hinter dem Aktionismus steckende, Pläne, die tatsächlich die einzige Rettung für die Menschheit bedeuten. Davon kennt übrigens auch Otto Muehl nur den kleinsten Teil. Einige Jahre später, als ich schon als Psychotherapeut in einer Klinik arbeitete, fragte mich eine Kollegin, ob ich nicht einen völlig heruntergekommenen Künstler durch eine Analyse helfen könne Es war Otto Muehl. Er war tatsächlich schon tief gesunken und malte Gondeln von Venedig. Was ich dann mit ihm anstellte, habe ich Auflockerungsanalyse genannt. Er sei somit er eigentliche Erfinder der Therapiepraxis der späteren Muehl-Kommune geworden – niemand jedoch habe das gewürdigt, schrieb Dvorak schelmisch.